
Wenn das Wort Spiritualität fällt, dann stellen sich bei vielen Menschen die Nackenhaare. Zu sehr wird die Spiritualität mit der Religion gleichgesetzt. Unter deren Deckmantel ist schon sehr viel Leid geschehen, das wissen wir alle. Die sogenannte Religion hat schon viel Missbrauch, Not und Tod mit sich gebracht.
Die wirkliche, echte, ernst gemeinte, wahre und auch gelebte Spiritualität ist aber ganz etwas anderes, als die starren Dogmen, die letztendlich immer wieder zu Machtmissbrauch geführt haben.
Die Spiritualität richtet sich an den innersten Anteil des Einzelnen. Nicht an den Menschen, der sonntäglich auf der Holzbank artig und passiv seine Stunden absitzt. Sondern an das brachliegende, verborgene Potential im Menschen, das wie ein innewohnender wertvollster Schatz in uns allen darauf wartet entdeckt zu werden.
Dieser innere Kern des Menschen hat Anteile an sich, die schön, edel und ehrenwert sind. Genauso hat er aber auch Anteile, die verwandlungsbedürftig sind. Dieser verwandlungsbedürftige Mensch ist wie eine ungeschliffener Stein, mit grauen bis hin zu pechschwarzen Schichten überzogen, der in unserem Inneren lauert. In manchen Phasen des Lebens scheint er wie darauf spezialisiert zu sein, Unschönes anzuziehen, uns unfrei zu machen und unsere Entwicklung zu sabottieren.
Gerade in der aktuellen Situation werden wir mitunter zwischenmenschlich sehr herausgefordert und gerade jetzt scheint ein Entwicklungsschritt für uns Menschen mehr denn je anzustehen. Insofern ist vielleicht das Leid, das wir verspüren, das in uns den Wunsch zu Entwicklung anregt. Weil wir das, was wir gefühlt schon mindestens hundert Mal erlebt haben, nicht nochmal bis ans Lebensende wiederholen wollen. Und weil die Perspektivenlosigkeit, die wir momentan erleben, uns in unseren Grundmauern erschüttert und wir im aussen keine wirklich brauchbaren Antworten finden. Wir können uns noch so viele Informationen reinziehen, noch so viele youtube-Videos anschauen, der innere Mensch bleibt dabei meist wie leer, hungerig und im passiven Konsum unzufrieden zurück.
Im Gegensatz dazu ist gelebte Spiritualität gleichzusetzen mit höchster innerer Aktivität, Wachheit und Gedankenarbeit. Wir benötigen weisheitsvolle Wahrheitsgedanken, die sich an den inneren Menschen richten und mit denen er neue Erkenntnisse gewinnen kann. Die Seele sehnt sich nach dieser Ausdehnung und Weiterentwicklung. Vielleicht ist das nicht gar so offensichtlich und die leise Stimme im allgemeinen Lärm des Alltag nicht leicht vernehmbar, nicht leicht hörbar. Im Gegensatz zu den stillen Momenten im Leben.
Rudolf Steiner schreibt in seinem Werk «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten»: «Die Wogen des äusseren Lebens zwängen den inneren Menschen von allen Seiten ein, wenn der Mensch nicht dieses Leben beherrscht, sondern von ihm beherrscht wird. Ein solcher Mensch ist wie eine Pflanze, die sich in einer Felsspalte entwickeln soll».
Um diesen inneren Menschen Raum zu geben, ihn zu verwandeln, ihm Nahrung zuzuführen, damit er wachsen und sich veredeln kann braucht es diese gehaltvollen, wahren Inhalte, an denen sich der Mensch orientieren kann. An denen er Ideale entwickeln kann, die er in der Zukunft tatkräftig umsetzen will. Sich als Ziele vornimmt um dem Leben eine schönere Note zu verleihen und es zu verwandeln. Er braucht Gedanken, die ihn be-geistern.
Hohe Gedanken von Geistforschern wie beispielsweise Rudolf Steiner, dem spirituellen Lehrer Heinz Grill oder indischen Weisen wie Sri Aurobindo, die Einsichten in die geistigen Welten haben und hatten. Mit deren Beschäftigung der Mensch sich über die alten Strukturen erheben und neu werden kann. «In sich selbst muss der Geheimschüler einen neuen, höheren Menschen gebären», so Rudolf Steiner. In dieser Auseinandersetzung, die seine geistigen Fähigkeiten schulen, findet der Mensch zu seiner Selbstliebe zurück, die ihn auch wieder mit anderen Menschen verbindet. Im Gegensatz zum Selbsthass, der entsteht, wenn er sich nur im Konsum verliert und latent in der Kompensation ist. In tausendfachen Ablenkungen gefangen. Wie auf einer unerkannten Suche nach dem verloren gegangenen Glück, das er so nie finden wird. Kein materieller Wert kann die innere Erfülltheit, Sinnhaftigkeit und Tiefe im Leben auf Dauer ersetzen.
Die zeitgemässe Spiritualität ist ein Weg, der uns Menschen wieder mehr in eine Verbindung mit dem bringt, was in uns angelegt ist und das auf eine Entwicklung wartet. Der manchmal so grau anmutende Stein in unserem Inneren, will geschliffen werden. So dass er sich zu einem Strahlenden, Wunderbaren verwandelt, das Schönes und Edles hervorbringt, das heilsam, stärkend und erhebend auf den Einzelnen aber auch auf das gesamte Umfeld wirkt.
Aus diesem Weg kann eine tiefe, freiheitliche Liebe erwachsen, zu allen und allem auf dieser Welt.
Literaturempfehlung:
«Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten» von Rudolf Steiner.

«Das Wesensgeheimnis der Seele» von Heinz Grill.
