Denk-Ecke

Aus: „Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?“ von Rudolf Steiner

Die Wogen des äusseren Lebens zwängen den inneren Menschen von allen Seiten ein, wenn der Mensch nicht dieses Leben beherrscht, sondern vom Leben beherrscht wird. Ein solcher Mensch ist wie eine Pflanze, die sich in einer Felsspalte entwickeln soll. Sie verkümmert so lange, bis man ihr Raum schafft. Dem inneren Menschen können keine äusseren Kräfte Raum schaffen. Das vermag nur die innere Ruhe, die er seiner Seele schafft.

VAV vs TAT

Sieht fast wie nach einem Corona-Zahlensalat aus, nicht?

Die Buchstaben lassen sich aber ausschreiben. VAV steht für: Verbinden – Aufbauen – Verwandeln. Ein erstrebenswerter, stufenweiser Vorgang eines Prozesses, der, wenn er unter Menschen gelingt, nur Positives bewirken kann. Wenn sich Menschen verbinden, sich gegenseitig aufbauen, um dann in den Prozess einer Verwandlung einzutreten ist Wachstum, Erweiterung und Entwicklung möglich. Das alles scheint mir in der aktuellen Coronasituation völlig blockiert. Nicht nur beim einzelnen Menschen, sondern auf der ganzen Welt. Vieles was irgendwie in einem progressiven Prozess begriffen war, läuft Gefahr, zurückzufallen, sagt der Berliner Philosophe Philipp Hübl in seinem Buch: „Die aufgeregte Gesellschaft: Wie Emotionen unsere Moral prägen und die Polarisierung verstärken“. Was Konservativen entgegenkomme, denn vielen sei diese Entwicklung viel zu schnell gegangen, so der Philosophe. So lässt sich vermuten, dass es manchen vielleicht unbewusst sogar gelegen kommt, dass nun jemand wieder Regeln aufstellt, Beschränkungen einführt, dass ein Hirte sagt wo die Schäflein langzugehen haben.

Das Selbstbestimmungsrecht des Menschen wurde in den vergangenen Wochen mehr wie eingeschränkt, die Freiheit war an einem kleinen Ort. Wenn man glaubte, sie wiederzuerhalten, wie der Besuch in einem Restaurant, wurde die Freude gleich wieder geschmälert. Ein Registereintrag für ein Teller Pommes? No way.

So kontrolliert und abhängig von Entscheidungen von aussen war ich das letzte Mal in meiner Teeangerzeit. Da gab es Kontrolle. Wann man vom Ausgang eintrudelte. Wer einem bis vor die Haustür begleitete. Da gab es Einschränkung der Freiheit. In den Sturm- und Drangjahren, in denen Ausgang und Konzertbesuche so zentral und wichtig waren. Wichtiger als die Noten in der Schule. Wo das strenge „Nein“ meines Vaters nach der Frage, ob ich ans Konzert meiner Lieblingsband gehen könne mich bis ins Mark traf und ich dieses Verbot nur gemein fand. So gemein, dass ich wütend meinen geliebten Wecker an die Wand schmiss und er in tausend Stücke zerbrach. Ich musste zu Hause bleiben. Durfte nichts Neues entdecken, in die Weite streben, meine Lebenskräfte erproben, mich mit Freunden auf Abenteuer einlassen. Alles förderliche, persönlichkeitsstärkende Dinge. Die Obrigkeit hatte ihre Oberhand. Ich musste mich fügen, da war keine andere Wahl. Es traf mich auch, weil ich auf mein: „Wieso nicht?“ keine befriedigende Antwort bekam. „Einfach!“, hiess es und liess mich konsterniert zurück, weil es keinen Gedanken gab, den ich hätte nachvollziehen können. Keine logische Begründung die mir in irgendeiner Form verhältnismässig erschien.

Wie sieht es jetzt aus? Nicht viel anders. Nur ist es jetzt die Behörde, die über den Bewegungsraum bestimmt. Die „Njet“ sagt zur natürlichen Begegnung im aussen, zu Bewegung in Freiheit. Die Begründungsliste hier wäre allerdings lang und würde mitunter moralisierende Töne tragen. Sie kennen sie bestens. – Wenn man sich nicht an die Regeln halte sei man nicht solidarisch, gefährde andere. Die Gefährdung durch die wirtschaftliche Krise mit der Folge von massiven existenziellen Nöten und langfristiger hoher Arbeitslosigkeit scheint dabei weniger verwerflich. – Man müsse die Menschen und ihre Gesundheit schützen. Isolation schützt vielleicht vor Ansteckung mit einem Virus, nicht aber vor Herzkreislaufproblemen, Krebs, Depression, Bluthochdruck, schizoiden Abspaltungen, Übergewicht etc. Das alles nimmt man in Kauf? Wenn Mensch Angst bekommt, entgleitet ihm das logische Denken. Davon nehme ich mich ja nicht aus. Aber es lohnt sich, sich dies ins Bewusstsein zu rufen, wenn die Ängste Überhand nehmen.

Und a propos Logik: ich stelle mir immer wieder die Frage: wenn die gesamte Welt dasselbe Problem hat, warum werden dann die Grenzen geschlossen, Länder abgeschottet? Weil man davon ausgeht, dass das Virus einen Pass hat? Zu dieser Abriegelung kommt mir die Abkürzung TAT in den Sinn. Eine Abkürzung, die in der Kriegsführung benützt wird. TAT steht für Teilen, abwerten, töten. Und was geschieht jetzt? Wir werden geteilt. Nicht nur innerhalb von Europa. Auch in den Familien. Unter Freunden und Bekannten. In Junge und Alte. In Gesunde und Kranke. In Nicht-Infizierte und Angesteckte. Ein Zustand, der sich aber ja stündlich ändern könnte. Je nach Kontakt den man hatte. Diesem Umstand will man jetzt mit einer Tracing-App begegenen, so dass wir besser verfolgt werden können. Und wir finden das sogar in Ordnung. Zu unserem „Schutz“…

Ich wünschte mir, TAT stünde für: die Tat. Im Sinne von: Träumen beenden, aufwachen und tätig werden. Damit VAV wieder eintreten kann und verbinden, aufbauen und verwandeln wieder möglich wird.

Denken Sie auch?

„Denken Sie auch oder schlurfen Sie nur sinnlos über die Erde?“ Als ich das Zitat von Kafka zum ersten Mal las, musste ich schmunzeln. So unverfroren provokativ dieser Ausspruch ist, so erfrischend wirkt er, finde ich. Dieses Zitat veranlasst tatsächlich sich Gedanken darüber zu machen, ob man auch wirklich denkt oder eben wie Kafka sagt, nur sinnlos über die Erde schlurft. Schon nur wenn man sich dieses Bild, diese Vorstellung des Schlurfens über die Erde vor Augen hält, richtet man sich innerlich auf und will nicht zu den Schlurfenden gehören.

Mir jedenfalls geht es so. Denn – was hinterlässt man da für einen Eindruck oder Ausdruck? Rücke ich mir dieses Bild vor Augen eines schlurfenden Menschen, dann hat er nichts Ästhetisches, Würdiges an sich. Richtet er sich hingegen auf, dann bekommt er mit Sicherheit eine edlere Haltung. Das Aufrichten und die schöne Haltung kann durch einen konstruktiven Gedanken geschehen. Aber die Frage ist wohl nicht nur, ob es nun ein positiver Gedanke ist oder ein Negativer: es geht wohl um das Wie des Denkens. Um auf Kafka zurückzukommen: so ganz und gar gedankenlos wird niemand einen Tag verbringen können. Selbst dann, wenn er über die Erde schlurft. Mit dem nur Sinnlos über die Erde schlurfen könnte Kafka gemeint haben, dass wir uns dem kunterbunten Treiben der Gedanken überlassen. Den wahllosen Gedanken, die, sobald wir morgens die Augen aufschlagen, von uns Besitz ergreifen.

Mal sind es konstruktivere, mal eher pessimistischere Gedanken, je nach Uhrzeit, Gemütszustand oder auch je nach Gegenüber. Das gewöhnliche Denken von uns Menschen ist normalerweise recht automatisiert und unbewusst. Denken wir aber bewusst und pflegen einen konkreten Gedanken, entsteht etwas ganz anderes. Wenn wir das tun bringen wir eine bewusste Führung in unser Gedankenleben. Wir unterliegen dadurch viel weniger irgendwelchen äusseren Einflüssen, den vielfältigen Manipulationen oder zahlreichen Einflüsterungen aus dem Unbewussten oder dem Umfeld. Anfangs ist das sicher nicht ganz einfach und etwas ungewöhnlich. Es braucht innere Ruhe, Aufmerksamkeit, eine gute Beobachtungsgabe. Es ist vielleicht wie wenn sich jemand das Rauchen abgewöhnen will. Am Anfang greift man noch ganz automatisch zur Schachtel Zigaretten. Mit der Zeit wird es aber weniger, die rauchfreien Zeiten werden mehr. Und es fühlt sich gut an. Man fühlt sich gesünder. Der Körper wird von schädlichen Stoffen befreit.

So stelle ich es mir auch mit dem Denken vor. Denn schädliche Gedanken können genauso ungesund wirken. Denke ich gerade  in einer Begegnung einen aufbauenden Gedanken wie zum Beispiel: Jeder Mensch trägt Fähigkeiten in sich, die er entwickeln kann, dann unterliege ich nicht dem automatischen Brimborium des gewöhnlichen Gedankenschwalles oder der eingegrabenen Denkmuster. Dafür entdecke ich vielleicht eben genau diese Möglichkeiten, die mein Gegenüber bei sich nicht sieht und kann sie ansprechen und damit fördern. Wenn wir so über die Erde wandeln, mit einem konkreten, aufbauenden Gedanken, dann gehören wir ganz bestimmt nicht mehr zu den nur sinnlos über die Erde Schlurfenden, sondern zu den gedanklich konstruktiv Gestaltenden und Erbauenden.

Montagskolumne im Bieler Tagblatt – erschienen am 14. August 2017

Die Keule

Es scheint ein neues Phänomen zu geben. Ein Phänomen, das sich klammheimlich einschleicht. So leise und unbemerkt es sich einschleicht, ebenso effektiv ist es in seiner Wirkung. Es ist ein Phänomen, das Andersdenkende ganz schnell in eine Ecke drängt. Im Sinne von: Wehe dem, der nicht wie die grosse Masse denkt, mit einer neuen Idee, einem neuen Gedanken kommt. Mit etwas, das man bis heute vielleicht zu wenig bedacht hat oder ganz einfach nicht wusste. Das aber die Gesellschaft, die Menschen in eine neue Richtung bringen und vielleicht sogar vor einem schlechter werden der Umstände bewahren könnte. Wer das wagt, kriegt ganz schnell eine Keule in den Nacken und die heisst: Verschwörungstheoretiker.

Aktuelles Beispiel: ein Politiker bezeichnete Raffael Wüthrich vom Initiativ-Komitee der Vollgeld Initiative vor laufender Kamera als ebensolchen. Halb so wild, mögen Sie jetzt vielleicht denken. Mag man von der Initiative halten was man will, aber kennen Sie die möglichen Folgen einer solchen Diffamierung? Verschwörungstheoretiker werden zu Interviews nicht mehr eingeladen, von Vorträgen wieder ausgeladen, vom Dialog ausgegrenzt. Als Verschwörungstheoretiker betitelte gelten als Menschen zweiter Klasse, als utopische Fantasten, die man nicht ernst nehmen muss. Dabei wären es vielleicht gerade die als solche diffamierte Menschen, die uns Informationen, Erkenntisse oder gar Wissen hätten, die uns hellwach machen, zum denken anregen könnten. Sie haben sich länger und tiefer mit etwas auseinandergesetzt als es ein Ottonormalverbraucher generell tut. Darum glaube ich, dass es ein fataler Fehler ist, genau diesen Menschen nicht zuzuhören. Wir tun es bei Politikern. Wer sagt uns, ob wir da die ganze Wahrheit geliefert bekommen?

Das Beispiel der Vollgeld Initative zeigt es auf: auch wenn sie bachab ging, sie in ihrem vollem Umfange schwer verständlich war und schwierig umsetzbar gewesen wäre: es ist nun wohl vielen klarer, dass unser Finanzsystem einer Blase gleichkommt, die jederzeit platzen könnte. Oder milder ausgedrückt: dass es nicht so sicher ist, wie viele bis anhin glaubten. Einen Dialog weiterzuführen und nicht mit Schlagwörtern zu beenden erscheint mir bei allen relevanten Themen wichtig für die Meinungsbildung. Ausser wir wollen wie die blöckenden Schafe einem Hirten nachlaufen, bei dem wir nicht wissen, ob dieser auch tatsächlich unser Wohlergehen im Auge hat oder nur das Konto seines Chefs. Dafür müssen wir uns mehr als nur eine Seite anschauen oder anhören. Mit Diffamierung und Ausgrenzung von Andersdenkenden oder Menschen, die neue Ideen liefern tun wir uns garantiert keinen Gefallen. Vielleicht haben ja gerade sie uns etwas Wichtiges zu sagen. – Mit Sicherheit haben sie etwas Wichtiges zu sagen. Denn aus welchem anderen Grund schafft man sie sich mit der entwürdigenden Schubladisierung „Verschwörungstheoretiker“ vom Hals?

Montagskolumne erschienen im Bieler Tagblatt am 18. Juni 2018

Ab in den Himmel

Es ist eine laue Sommernacht, sagen die einen. Eine Tropennacht sei es, sagen Meteorologen. Die Temperaturen sind jedenfalls wie im Süden. Ich lieg im Bett und dreh mich wie ein Fisch auf trockenem Boden von einer Seite auf die andere. Krieg kein Auge zu. Das Licht des Nachbarblockes scheint grell in mein Zimmer und mir ist es schlicht zu heiß.

Die Decken längst nicht mehr über mir, das Fenster weit auf, alles hilft nichts. Unruhig tigere ich vom Schlafzimmer zum Balkon und wieder zurück. No way. Keine Aussicht auf erholsamen Schlaf. Zumal die Bässe des Lakelive Festivals vom Seebecken herüberdröhnen. Die britische Indie-Rockband Bastille steht auf meinem Balkon, eh sorry, natürlich auf der Bühne.

Ja, auch ich war mal jung und schlug mir bei unzähligen Festivals die Nächtte um die Ohren. Und auch ich war am Lakelive und fands wirklich lauschig. Die gesamte Ambiente mit den zahlreichen Essständen, die Lage am See samt Sandstrand – wo findet man sowas! – die vielen Sportangebote – die verschiedenen Bands auf der Mainstage. Aber toll fände ich nach acht geschlagenen Nächten echt auch wieder mal vor ein Uhr eine Mütze Schlaf zu kriegen.

Die Zeit vergeht so langsam wie dickflüssiger Honig vom Löffel träuffelt. Nächtliche Zeit zum Grübeln. Meine Gedanken wandern an den Ort, an dem ich vor ein paar Jahren gewohnt habe. Das Haus stand mitten in den Reben. Ein altes, stattliches Bauernhaus. Mit Sicht auf den Bielersee, die St. Petersinsel, die gesamte Alpenkette. Ein Traum einer Lage. Ich kann mich noch an den Ausspruch eines Mannes erinnern, der mir vor dem Haus beim Abladen der Möbel zusah als ich einzog. Er meinte schmunzelnd: „ aha.. ..kommen Sie zu uns in den Himmel…?“. Es war mehr eine Feststellung als eine Frage.

Ich muss ihn wohl etwas verduzt angeschaut haben. Begriffen hab ich erst später was er damit gemeint haben mag. Denn es fühlt sich tatsächlich wie im Himmel an, dort zu wohnen. Warum bin ich da nur weggezogen? Ich liess mich haben. Von Freundinnen die sagten: „Komm mal runter von deinem Rapunzelturm. Das liegt viel zu weit weg von der Stadt.“ Wie konnte ich bloss?

Dort – mitten in den Reben hoch über dem See – herrscht die absolute Stille. Kein Wummern eines Basses raubt einen den Schlaf. Nur das leise Zirpen der Grillen ist zu hören. Keine unterträglich gestaute Hitze zwischen den Häusern, ein leises Lüftchen streicht über die Hügel und lässt die Nächte kühler erscheinen. Kein grässlichgelbfahles Licht einer Eingangslampe, das ins Zimmer fällt. Nur das Funkeln der Sterne am unendlich erscheinenden Firmament.

Es ist halb zwei Uhr in der Nacht. Schlaftrunken schlurfe ich vom Balkon ins Schlafzimmer. Die letzte Band scheint nun die Bühne geräumt zu haben. Endlich ist es still.

Und von irgendwoher glaube ich jemanden fragen zu hören: Kommen Sie zu uns in den Himmel?

Ja, ich komme, sobald ich kann.