
Die Liebe zur Poesie hat ihn schon in der Pubertät gefunden. Ein Suchender ist er trotzdem geblieben. Ein Plädoyer des heute 75-jährigen deutschen Liedermachers an die Kunst und deren Kraft zu Selbstwerdung.
Du lässt bei deinen Konzerten aktuell 50 Jahre deiner Karriere Revue passieren. Was schwingt da für dich mit? Bei dem Zurückschauen auf dein grosses Werk?
Das mache ich seit Jahren, dass ich auch schon alte Lieder spiele. Weil ich immer mehr feststelle – jetzt gerade auch im Alter – ich habe als junger Mann Lieder geschrieben, die ich vielleicht manchmal erst 20 Jahre später verstanden habe. Meine Lieder waren immer weiter als mein Ego und meine Ratio. Ich werde es heute auf der Bühne auch kurz thematisieren. Früher war ich ein gnadenloser Macho. Gottseidank in meinen Liedern überhaupt nicht. Da gabs ja immer wieder junge Frauen, die damals zu mir kamen, mich angeschaut haben, mit meinem damaligen Outfit, den Kopf geschüttelt haben und gesagt haben: du hast diese Lieder geschrieben? Das glaub ich nicht.
Jetzt im Nachhinein kann ich es auch nicht glauben, wenn ich so Fotos von mir von früher sehe. Aber ich muss sagen, ich bin wenigstens immer meiner Poesie gefolgt.
Das Erstaunliche ist, und je mehr man sich damit beschäftigt, desto bewusster wird einem das – die ganzen grossen Poeten, Rimbaud, Baudelaire, Trakl und wie sie alle hiessen, die haben mit 17, 18, 20 Jahren Gedichte geschrieben von einer unglaublichen Weisheit. Ich habe neulich wieder ein Rilke Gedicht gelesen, das hat mich umgehauen. Dieses Gedicht hat er mit 17 Jahren geschrieben. Genauso gut hätte er dies kurz vor seinem Tod mit 51 schreiben können.
Wie erklärst du dir ein solches Phänomen? Dass ein junger Mensch eine so unglaubliche Tiefe bereits mitbringen kann?
Weil die Gedichte nicht aus der Ratio geschrieben werden. Die kommen aus der Tiefe, aus der Tiefe des Selbst. Das ist ein spiritueller Prozess. Da passiert etwas in einem. Im Endeffekt hatte Joseph Beuys (deutscher Aktionskünstler und Bildhauer) völlig recht, wenn er sagt: jeder ist Künstler. In uns allen wohnt es. Nur manche können es in Worte fassen, in Bildhauerei. Können es malen oder Musik machen. Überleg dir mal was Mozart als Bub schon komponiert hat. Das ist ja nicht menschenmöglich.
Wenn du wie Beuys sagst: in jedem steckt ein Künstler… du lebst das jetzt in der vollen Fülle. Was würdest du denn jemanden mitgeben auf dem Weg, gerade auch einem jungen Menschen, der dies ebenfalls leben möchte?
Ich habe ja ab und zu unterrichtet an der Uni Landau und in Würzburg. Meinen StudentInnen rate ich: erstens mal müsst ihr lesen. Man kann nur durchs Lesen wirklich schreiben lernen. Bei Musikern ist es eh klar. Die müssen halt ihr Instrument erlernen.
Wenn man etwa ausdrücken will, was in einem wohnt und wenn man dort rankommen will, dann muss man wenigstens ein gewisses Handwerk beherrschen. Anders geht es nicht. Das Handwerk beim Poeten ist halt die Sprache. Ich rate sehr, sehr viel zu lesen.
Was hast du gelesen in jungen Jahren?
Ich habe mit 12 schon angefangen mich in die Poesie zu verlieben. Als ich pubertierend war, waren es bei mir die expressionistischen Dichter, ohne die ich meine Pubertät nicht heil überstanden hätte. Denn da habe ich schon etwas gemerkt, was mir jetzt im Alter immer mehr auffällt:
Kunst vermag es den Menschen Mut zu machen, zu sich selbst zu stehen.
Ich dachte mir als junger Bursch, ich bin ja gar nicht so wahnsinnig. Wenn ich Dostojewski gelesen habe, merkte ich, es gibt ja noch jemand der so ähnlich denkt wie ich. Alle meine Schulkameraden haben gedacht ich spinn und haben mir das auch gesagt. Dass ich mit meinen Gedanken völlig verrückt bin. Oder ich las meine heissgeliebten Henry Miller, den ich wahnsinnig verehrt habe und immer noch verehre. Der hat ja mal geschrieben: der wahre Künstler muss Anarchist sein. Das hat mich als 17-jähriger geprägt bis heute.
Wieso muss er das? Weshalb muss ein wahrer Künstler Anarchist sein?
Die Anarchie träumt von einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Ohne Dogmen, ohne Ideologien. Also das, was uns in den letzten Tausenden von Jahren kaputt macht ist das Patriarchat. Es sind diese kruden Gedanken psychopathischer Herrscher seit tausenden von Jahren bis heute. Bis Putin, bis Trump und wie sie alle heissen mögen, bis Erdogan. Warum folgen wir denen? Es ist doch unfassbar. Wir folgen deren Gedanken. Und das sind Gedanken – also ich würd sie tatsächlich als… (zögert kurz)…psychopathisch und soziopathisch bezeichnen.
Es erforderte einen riesigen emanzipatorischen Schritt der gesamten Gesellschaft, wenn man sich von diesen befreien möchte.
Dieser emanzipatorische Schritt ist schon seit Tausenden von Jahren immer von der Kunst, der Philosophie beflügelt worden.
Weil eben da eine gewisse Freiheit drin liegt?
Eine Freiheit, die dann auch dem Zuhörenden, die Chance und die Kraft gibt zu sagen: Moment mal, ich bin ja nicht allein mit meinen verrückten Gedanken.
Da war zum Beispiel so eine mail, die ich nie vergessen werde. Weil sie so symptomatisch war für viele andere, die ich bekomme. Eine Dame hat mir geschrieben, sie wird immer ausgelacht von ihrer Familie und ihren Freunden, weil sie sich für Geflüchtete einsetzt. Und dann sagt sie: jetzt war ich in ihrem Konzert, Herr Wecker, und ich verspreche ich ihnen, ich engagiere mich weiter. So eine Rückmeldung ist wunderschön. Das heisst, ich konnte ihr Kraft machen, sich durchzusetzen mit ihren Ideen, mit ihrem Idealismus und mit ihren Träumen.
Viele haben aber ja das Gefühl wir leben doch in einer freien Gesellschaft und wir sind gar nicht so eingepfercht, uns geht es doch gut. Wir haben genügend zu essen, genügend Geld, wir haben aktuell in unserem Gebiet noch keinen Krieg. Was man will man da mehr?
Dass wir noch keinen Krieg haben, das ist schon mal ein unglaublicher Segen. Ich bedank mich jeden Tag dafür, dass ich in eine Generation geboren werden durfte, die 70 Jahre jetzt ohne Krieg war. Das ist ein unglaubliches Glück! Aber es ist auch gleichzeitig eine Verpflichtung, finde ich. Und wir dürfen eines nicht vergessen: wir sind natürlich vom Kapitalismus und vom Patriarchat auch wahnsinnig geschädigt. Wir haben von allem genügend, sagst du. Trotzdem sind 30 % der Gesellschaft schwer depressiv. Also musst du nur mal mit Psychologen reden, wie es den Menschen hierzulande wirklich geht. Innerlich. Vielleicht ist Geld zu haben doch nicht einfach alles. Das, was uns wirklich ausmacht und glücklich macht.
Du schriebst in einem deiner Bücher «Die Kunst des Scheiterns»: Glück ist nur in der Reduktion zu finden.
(denkt kurz nach) Eines fällt mir im Alter immer mehr auf. Es ist so unglaublich wichtig, jeden Tag darüber nachzudenken, wie schlecht es vielen Millionen, Milliarden von Menschen geht im Vergleich zu uns. Jetzt mal nur schon, dass sie sich täglich um ihr Essen Sorgen machen müssen oder ihre Unterkunft. Das ist nur die eine Seite. Die andere ist, dass wir ja immer noch beherrscht sind von einem Gedankenbild, das eigentlich erschreckend ist. Gerade du als Frau müsstest ja täglich spüren, dass wir zwar Riesenfortschritte gemacht haben, im Punkte Emanzipation. Aber es gibt immer noch keine wirkliche Gleichberechtigung. Es ist immer noch eine von Männern beherrschte Welt. Da brauchen wir jetzt gar nicht an Iran denken. Aber selbst bei uns – und wir haben schon viel erreicht – ist es immer noch nicht so. Fast jeden dritten Tag wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Expartner ermordet. Wie können wir das leben, was in uns wirklich wohnt, wenn wir nicht wenigstens gleichberechtigt sind. Das wäre doch schon mal eine Grundbedingung.
Meine Vermutung ist, dass es nur durch die Spiritualität zu einer wirklichen Veränderung kommen kann.
Ich habe es poetisch ausgedrückt in einem Lied. Wir werden weiter träumen und keiner rede uns drein. Wir haben das Recht zu träumen und im Traum wohnt ja auch alles das. Dieser Traum von einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Einer gleichberechtigten und liebevollen Gesellschaft, eines liebevollen Miteinanders. Es gibt immer noch genügend Platz für Tränen und Unmut. Keine Frage. Aber trotzdem wäre es doch ganz etwas anderes, wenn wir endlich mal in einer wirklich gleichberechtigten, liebevollen Gesellschaft leben würden.
Auch das reden uns die Herrschenden ein. Sie reden uns ein, der Mensch sei schlecht. Und das stimmt nicht. Ich war mit dem wunderbaren Arno Gruen noch befreundet, mit dem grossartigen Psychologen. Er hat mir noch kurz vor seinem Tod gesagt – er hat sich ganz viel mit indigenen Gesellschaften beschäftigt – das ist alles ein Fake. Der Mensch ist eigentlich von Grund auf nicht schlecht. Er wird schlecht gemacht. Durch Erziehung. Wir dürfen nicht vergessen. Als mein Vater geboren wurde, war das die Zeit der schwarzen Pädagogik. Die gab es auch mal. Also eine Pädagogik, die nur auf militärischen Gehorsam ausgerichtet war. Mein Vater war – was für ein Segen und was für ein Glück – ganz anders. Das war ein kleines Wunder in der Zeit, dass er so anders war. Aber er war wirklich ein antiautoritärer Mann. Natürlich kann man ein Kind so erziehen, dass es jede Form von Mitgefühl verliert. Aber zuerst mal wohnt dieses Mitgefühl im Menschen.
Dieses Mitgefühl wird in deinen Liedern angeregt. Deine Lieder berühren. Das habe ich selber in deinen Konzerten erlebt. Gerade in den letzten zwei Jahren, die so berührungsarm waren, war gerade das auch wichtig. Jetzt nicht nur rein körperlich, sondern auch seelisch. Du schaffst es, die Menschen im Herzen zu berühren.
Weil ich sie vielleicht da treffe oder da etwas aufmachen kann, was sowieso in ihnen wohnt. Das ist wieder der Haken an der Ideologie. Die Ideologie versucht dir ein Gebäude überzustülpen, dem du glauben musst. Egal ob es eine politische Ideologie ist oder eine religiöse Ideologie. Du musst etwas glauben. Das, was die Kunst kann ist, den Menschen dort anzutreffen, wo er spürt, das wohnt ja schon lange in mir.
Es muss nur noch freigekitzelt werden.
Oder damit kann man einfach bestätigen. Etwas, was ich immer wieder gesehen hab. Mich haben Gedichte in meinem tiefsten Inneren bestätigt. Sonst hätte ich sie nicht so geliebt wahrscheinlich.
Eines der schönsten Beispiele war: meine Religionslehrer im Gymnasium waren ja auch Nazis. Genau so war dann auch der Religionsunterricht. Das muss man sich mal vorstellen. Ich habe mich immer gefragt, warum reden die eigentlich vom lieben Gott? Dieser Gott, den sie mir erwählt haben, war nur ein strafender Gott, war böse, er hat unter die Bettdecke geschaut (lacht) und das war unglaublich schrecklich. Ein schrecklicher Gott. Aber sie nannten ihn immer den lieben Gott. Und dann les ich Rilke. «Was wirst du tun, Gott, wenn ich sterbe..». Plötzlich fiel mir damals auf, dass es ja ein ganz anderes Gottesbild gibt als das, was mir meine Religionslehrer erzählten.
Was hast du denn heute für ein Bild, einen Bezug zur Spiritualität? Oder auch zu Gott?
Ich akzeptiere das Wort Gott. Das habe ich ja in meinem letzten Gedichtband « Auf der Suche nach dem Wunderbaren» versucht immer wieder in jedem Kapitel klarzustellen, dass Worte nur Symbole sind. Und keiner hat das Recht auf die Interpretationshoheit des Wortes. Das Schönste ist, wenn du heute ein Rilke-Gedicht liebst, das du mit 17 schon gelesen hast: es sind die gleichen Worte, aber es ist ein anderes Gedicht. Warum? Weil du einfach Jahrzehnte mehr erlebt hast. Die Worte sind andere Worte geworden durch dein eigenes Erleben. Natürlich gibt es das Wort Gott und ich akzeptiere es auch. Aber ich lass mir es nicht mehr von Katholiken und katholischen Dogmen kaputtmachen.
Bei deinen Konzerten gibt es immer wieder diese magischen, sehr poetischen und auch sehr zarten, fast zerbrechlichen Momente. Die sich fast schon wie eine Meditation anfühlen, sehr konzentriert. Erlebst du das selber auch so?
Ich erlebe das immer mehr, vor allem im Alter. Auch, dass ich mir sag: was habe ich mir schon manchmal vorausgeschrieben. An Zeilen, die ich jetzt langsam beginne zur verstehen und vielleicht sogar zu werden. Ich bin immer noch auf der Suche, das auch zu werden was ich geschrieben hab, ja… (lacht).
Du hast in deinen Büchern auch niedergeschrieben, du bist ein Suchender. Heisst das, du suchst immer noch?
Immer noch, ja.
Weisst du denn, was du suchst?
(überlegt einen Moment) Ich bitte das Wort völlig religions- und ideologiefrei zu betrachten. Aber es ist schon das Göttliche. Das Wesentliche.
Das Gespräch fand vor seinem Konzert am Donnerstag, 4. Mai in Rapperswil/Jona statt.