
…selten geworden. In einer Welt, in der sich der Materialismus in seiner gesamten Härte zeigt und sich Länder gegenseitig immer mehr bekämpfen, ihre Menschen darunter erbarmungslos leiden und eine tatsächliche, nachhaltige Versöhnung nicht in Griffnähe scheint.
Ich denke, viele sehnen sich, gerade jetzt in der Adventszeit, nach friedvollen, nach liebevolleren Zeiten. Nach Verbindung über die Grenzen hinaus, nach Nähe, nach wohlwollender menschlicher Zuwendung, ja nach Liebe. Was für ein wenig gebrauchtes Wort in dieser Zeit. Es mutet verrostet und altbacken an. Es auszusprechen kostet schon fast etwas Mut. Aus der vielleicht nicht mal ganz ins Bewusstsein flutenden Befürchtung, als hoffnungsloser Gefühlsdusel und Romantiker abgestempelt zu werden, der nicht mehr ganz bei Trost und etwas realitätsfern ist.
Aber ohne Liebe geht es nicht. Ohne Zuwendung und Liebe geht ein Säugling zu Grunde. Und auch ein Erwachsener Mensch braucht sie. Wenn auch nicht mehr in derselben hohen Dosis und permanenten Verfügbarkeit. Wohl aber in einer gereiften Art und Weise. Bloss verstehen wir sie in unserer heutigen auf Konsum ausgerichteten Gesellschaft meist falsch. Als etwas, dass automatisch gegeben ist. Als eine Selbstverständlichkeit, auf die wir ganz grundsätzlich ein Anrecht haben, gar erwarten können. Oder die fliesst, wie eine unversiegbare Quelle. Liebe ist aber das Ergebnis einer mentalen oder emotionalen Form der Aktivität. Nicht eines passiven Zurücklehnens auf dem Liegestuhl. „Kaum einer nimmt an, dass man etwas tun muss, wenn man es lernen will zu lieben“. Schreibt schon der deutsch-amerikansiche Psychoanalytiker Erich Fromm.
Liebe ist eine Kunst. Sagt er und schreibt ein ganzes Buch darüber. Eine Kunst, die wir genauso erlernen müssen wie die der Musik, der Malerei, dem Tischlerhandwerk oder der Kunst der Medizin oder der Technik. Als ich das zum ersten Mal las, tröstete mich das sehr. Damals mitten in einer meiner vielen, waschechten Beziehungskrisen. Weil ich davon ausging, lieben, das müsse man einfach können. Das sei etwas gottgegebenes. Wie ein- und ausatmen, wie lachen und weinen. Ich dachte, die Liebe sei etwas immerwährend Vorhandenes, etwas Leichtes. Wie schwer es tatsächlich ist zu lieben, darauf wird man nicht vorbereitet. So wird der Mensch oftmals alt und grau, bis er sie in ihrer wahren Schönheit entdecken lernt.
Gerade jetzt – jetzt sind wir in einer ziemlich lieblosen Zeit. Die unsicheren Zukunfsperspektiven, der gesamte Druck des Alltags, der auf den Menschen lastet, die vielen Ängste, die herrschen. Bewusst oder unbewusst. Das alles lässt die Liebe schwinden, verdeckt sie womöglich ganz. Wir aber haben sie nötiger denn je. Wir alle haben das Bedürfnis geliebt zu werden und lieben zu können. Wie aber findet sie wieder mehr in die Welt?
Es kann meines Erachtens mit ganz banalen Sachen beginnen. Wie beispielsweise der, dass ich das nächste Mal, wenn mir im Strassenverkehr einer den Vortritt klaut, ihm nicht mit der berühmten Geste zeige, was ich von ihm denke und mit entsprechend unschmeichelhaften Bezeichnungen sinnbildlich noch eins oben drauf haue. Wie anders fühlt es sich an, wenn ich ihn freundlich lächelnd passieren lasse. Allein so etwas kann wieder das Herz erwärmen.
Herzensempfindungen sind zart. Sie entstehen nicht einfach so. Mit einer grundlegenden Freundlichkeit und einem Wohlwollen gegenüber allen Menschen können sie aber wieder gedeihen. Es bedeutet auch, dass ich gewisse Gedanken gar nicht erst aufkommen lasse. Die möglichen kleinlichen Bekritteleien, den Dauernörgler nicht zulasse. Sondern nur konstruktive und aufbauende Gedanken für den anderen hege. Ebenso entsteht eine grössere Nähe und Verbindung wenn ich lerne, jemanden objektiver wahrzunehmen. Ihm wirklich meine Aufmerksamkeit schenke in dem Augenblick der Begegnung. Ohne Vorbehalte, Vorurteile oder Projektionen sondern mit echtem, wachem Interesse. Wie denkt er? Was meint er genau? Wie kommt er auf seine Erkenntnisse? Was sind seine Erfahrungen? Seine Sicht der Dinge.
Insofern ist die Liebe eine richtig aktive, heute elementar wichtige Tat, die ich mir jeden Tag, jede Minute, jede Sekunde vornehmen muss. Liebe ist eine Kunst. Die, wenn ich nicht regelmässig übe, verkümmert wie das Können des Musikers, Tischlers, des Technikers der sich nicht täglich übt. Liebe ist…